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Fremdheit in der Polizeiarbeit. Ethnografische Erkundungen
Celine Dalibor, Tobias Lechner & Jessica Reichmann
Präsentation der Lehrforschungsergebnisse
"doing becoming and doing being stranger/strangeness" SoSe 2019 - WiSe 2019/20 // Institut für Soziologie //
AB Qualitative Methoden und Mikrosoziologie
Celine Dalibor, Tobias Lechner & Jessica Reichmann
Wer in den letzten Wochen einen Blick in die Tageszeitungen geworfen hat, wird unweigerlich Zeuge großangelegter Schlagzeilen zur Polizeikritik. Einen erneuten Höhepunkt erreichte die Berichterstattung am Anfang des Monats. In den USA kam der Afroamerikaner George Floyd gewaltsam durch einen Polizisten zu Tode.
Kein Einzelfall, auch in Deutschland lassen sich viele Beispiele für Kritik an der Polizei und ihrer Arbeit finden. Eines der bekanntesten Beispiele ist die gewaltbereite Polizeiarbeit anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg im Sommer 2017. Auch das Jahr 2020 begann mit massiven Ausschreitungen zwischen Beamt*innen und Zivilist*innen im Leipziger Stadtteil Connewitz in der Silvesternacht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes gegen Unbekannt. Der Fall löste eine hitzige Debatte in den Medien und der Politik aus.
Emotional aufgeladen wird über die Polizeipraktiken diskutiert. Nicht selten wird die Polizeiarbeit in den Debatten - Schlagzeilen in den Medien verweisen darauf – problematisiert (Stichwort „Racial Profiling“ siehe dazu Wa Baile et al. 2019). Die Stadt Minneapolis überlegt aufgrund der aktuellen Geschehnisse die Polizei der Stadt als Konsequenz abzuschaffen, was in den Diskussionen in Deutschland einerseits begrüßt und andererseits abgelehnt wird. Skizziert wird die Polizei in diesen Kontexten häufig als bedrohlich und gefährlich und nicht als schützend und helfend.
Vor diesem Hintergrund fragt unsere ethnografisch ausgerichtete qualitative Praxis-Forschung danach, ob die Polizei vom ‚Freund und Helfer‘ zum Fremden im eignen Revier wird, indem die Forscher*innen dieser Untersuchung ethnografisch in die Polizeiarbeit eintaucht und danach fragt, welche Bedeutung Fremdheit im alltäglichen Handlungsvollzug der Polizei hat.
Bildquelle: Bild von StockSnap auf Pixabay
Um uns der Herstellung von Fremdheit in der alltäglichen Polizeiarbeit zu nähern, stützen wir uns auf einen ethnomethodologischen Zugang, der diesen Herstellungsprozess von Fremdheit in den Fokus rückt (vgl. auch Hunold 2011 u.a.). Fremdheit verstehen wir im Anschluss an West und Fenstermaker`s Doing-Ansatz als Dimension, die durch alltägliches Handeln entlang anderer (Differenz-)Dimensionen hergestellt wird. Fremdheit ist nicht bereits immer schon da, sondern wird im Handeln der Akteur*innen innerhalb eines kulturellen Wissenssystems ständig hergestellt.
Ausgehend vom Material hat sich unser Forschungsteam entschlossen, die Dimension von Gewicht entlang derer Fremdheit hergestellt wird im Gewand des theoretischen Konzepts zu benennen (z. B. Doing-Age, Doing-Routines, Doing-Racism und weitere doings).
Ausgehend von der Frage, welche Bedeutung Fremdheit in der Polizeiarbeit spielt, konnte basierend auf einem ethnografischen Doing-Strangeness-Zugang am Schnittpunkt anderer doings gezeigt werden, dass entlang unterschiedlicher (Differenz-)Dimensionen, die zur sozialen Ungleichheit führen können, Fremdheit im Alltagshandeln der Polizeiarbeit hergestellt wird. Fremdheit wird durch den bewussten Geschlechterpluralismus (doing-gender), das Ausüben von eingeprägten Routinen (doing-routines), bewusster Differenzierung zwischen Generationen (doing-age) und Rassismus (doing-racism) konstruiert.
„Die Frauen weinen oft [...]. Die Männer sind alle aggressiv.“ (Polizistin)
Weiblichen Zivilistinnen, aber insbesondere auch Polizistinnen wird zugeschrieben eher schwach und emotional zu sein, während männlichen Zivilisten und Polizisten Stärke und Rationalität attestiert wird. Fremdheit wird hier via der Zuschreibung von weiblichen und männlichen Geschlechtscharakteren hergestellt. Männer und Frauen werden hier als gegenseitig fremd entworfen. Das explizite Betonen der angenommenen Geschlechterzugehörigkeit entfremdet die betroffenen Personen und schreibt ihnen bestimmte Eigenschaften zu. Dadurch werden mit Blick auf die gesamten Beobachtungsprotokolle Akteur*innen im Feld auch degradiert und andere Geschlechterzugehörigkeiten zu etwas Befremdlichen.
„Die Frau notiert zu den bereits aufgeschriebenen Personalien die Uhrzeit, zu der der Mann eingetroffen ist, zu wem er geht und was sein Anliegen ist.“ (Beobachtung in der Wache)
Der Aufnahmeprozess von Zivilist*innen auf der Wache verlief wiederkehrend in dieser Form. Obwohl sich das Anliegen der eintreffenden Person (z. B. Fahrradunfall, körperliche Auseinandersetzung und Internetbetrug) und auch die psychische und physische Befindlichkeit durch verschiedene Arten charakterisieren lässt, schien das Festhalten der Personalien vorerst wichtiger zu sein, als das bereits bekundete Anliegen. Erst nach dem förmlichen Ausfüllen der Unterlagen wurden diese dann noch mit den Informationen des eigentlichen Tatbestandes ergänzt.
So war der Umgang zwischen Polizist*innen und Zivilist*innen stets durch das Abspielen von Routinen geprägt, besonders von Seiten der Polizei. Abläufe avancieren im Berufsalltag zu Gewohnheiten und werden als Zustand der Normalität angenommen. Zum Teil ist dies für Zivilist*innen befremdlich, wodurch ein Gefühl von ‚Anderssein‘ konstruiert wird. Befremdlich steht – so eine Lesart - für eine gewisse Irritation, da die Zivilist*innen vergegenständlicht bzw. zu einer „Aktenperson“ bzw. „Verwaltungsperson“ werden. So scheinen die Zivilist*innen, die sich an die Polizist*innen wenden, häufig hinter der Bürokratie zu verschwinden. Beobachtbar waren z. B. emotional aufgewühlte Personen, die von der Polizei nach Daten und Fakten zur Tat, dem Tathergang und dem Tatkontext befragt wurden, statt – wie es in einem anderen Setting durchaus möglich wäre – sie emotional aufzufangen.
„Ja, ja, die Jungen wollen immer noch die Welt verändern“ (Polizistin)
„In der Ausbildung will man die Welt noch verändern und die Polizei revolutionieren.“ (Polizistin)
„Vor allem Praktikanten sind davon [Polizeiarbeit besser machen] ganz stark betroffen. Sie kommen mit ihrer linken Einstellung zur Polizei, wollen alles anders. Besser machen. Haben die Vorstellung davon etwas zu verändern. Ich habe viel mit Praktikanten zu tun und alle sind am Ende ganz anderer Meinung.“ (Polizistin)
Besonders auffällig innerhalb der Polizeiarbeit zeigt sich das doing-age. Ältere Beamt*innen schreiben ihren jüngeren Kolleg*innen weniger Erfahrungen und Fertigkeiten zu und werden in ihrem Können nicht selten abgewertet.
„Im Verhältnis zu anderen Einsätzen eskalieren diese doch recht häufig... Die Frauen weinen oft, versuchen uns deutlich zu machen was das Problem ist, meistens können wir sie aber aufgrund von Sprachprobleme nicht verstehen. Die Männer sind alle aggressiv.“ (Polizistin)
Durch Verweis auf „ethnische Merkmale“ (besonders in einem negativen Kontext) werden Personen als Fremde hergestellt. Dies geschieht über die Zuschreibung verschiedener Eigenschaften, die zu- und anderen abgesprochen werden. Passant*innen mit Migrationshintergrund werden von der eigenen „Kultur“ – zu diskutieren ist, was das ist – als anders etikettiert und dabei häufig als bedrohlich inszeniert. Bei der Fremdheitskonstruktion ist beobachtbar, dass es zu Homogenisierungsstrategien kommt. Von einer Person wird auf die „fremde Gesellschaft“ geschlossen.
Sowohl auf Seiten der Zivilist*innen als auch auf der Seite von Polizist*innen konnte deutlich rekonstruiert werden, dass Fremdheit über die Dimension Ethnizität konstruiert wurde, um damit Akteur*innen negativ zu codieren bzw. dabei z. B. als potentiell bedrohlich zu markieren.
Zurück zum ursprünglichen Gedanken: Um an die Überlegung anzuknüpfen, ob die Polizei vom ‚Freund und Helfer‘ zum Fremden im eigenen Revier wird. Eine genauere Auseinandersetzung mit dem Material hat gezeigt, dass die Frage hier nicht beantwortet werden kann, da die Daten keinen Zeitvergleich zulassen. Sie informieren nicht darüber, ob die Polizei einst als Freund und nun als Feind gesehen wird. Auch erlaubt eine qualitative ethnografische Analyse eine solche Aussage nicht, da sie zwar über Handlungs- und Deutungsmuster informiert, aber keine Angaben über die Häufigkeitsverteilung liefert. Was die Untersuchung aber zeigt – und damit ist sie nicht nur soziologisch, sondern auch gesellschafspolitisch relevant – ist, dass Fremdheit auf unterschiedlichsten Ebenen (zwischen den Akteur*innen auf der Straße und der Polizist*innen als auch unter den Polizist*innen) und entlang unterschiedlichster (Ungleichheits-)Dimensionen (ethnicity, age, routines..) gemacht wird und zum Ausschluss, Verwerfung oder gar zur Diskriminierung führt. Dabei zeigt sie auch, wie bestimmte Stereotype durchaus wirkungsmächtig sind und sich in der Polizeiarbeit materialisieren, was durchaus folgenreich für all diejenigen ist, die mit der Polizei interagieren. Denn wenn zwei das Gleiche tun, wird es offenbar unterschiedlich bewertet. Weitere Studien zur empirischen Polizeiarbeit wären im Anschluss wünschenswert.
Bildquelle: Foto von Falco Masi auf Unsplash
Hunold, Daniela (2011): Polizei im Revier: das Verhältnis von Polizisten und Jugendlichen vor dem Hintergrund des sozialräumlichen Kontextes. Soziale Probleme, 23(2), 231-262. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168- ssoar-364696
Spradley, James (2016): The Ethnographic Interview. Long Grove: Waveland Press.
Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung Weinheim: Psychologie Verlag.
Wa Baile, Mohamed et al. (2019): Racial Profiling: Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand. transcript Verlag.
West, Candace/Fenstermaker, Sarah (1995): Doing difference. Gender & society. 9(1): 8-37.
Dalibor, Celine/Lechner, Tobias/Reichmann, Jessica (2020): Vom 'Freund und Helfer' zum 'Fremden` im eigenen Revier? Ethnografische Einblicke zur Polizeiarbeit. Entstanden im Rahmen der Lehrforschung "Fremdsein & Fremdwerden heute - ein ethnografischer Streifzug durch die Stadt" von Eva Tolasch am AB Qualitative Methoden und Mikrosoziologie des Instituts für Soziologie der FSU Jena. URL: https://fremdheit-in-der-stadt.de/projekt1